Manchmal haut einen die Freundlichkeit der Leute schlichtweg um.
Wie zum Beispiel neulich, als ich auf Kurzurlaub in Dornbirn seit Jahren wieder einmal im sauteuren Tante Emma-Laden um die Ecke war und mir die mir völlig unbekannte Verkäuferin, kaum hatte ich vorsichtig den großen Zehen des rechten Fußes quasi als Vorhut zögerlich über die Türschwelle gestreckt, ein Willkommen bereitete, das mich zunächst wie paralysiert an Ort und Stelle verharren ließ.
Aber da war es schon zu spät: Jetzt gab es keinen Rückzieher mehr, nachdem ich schon mitten im Geschehen stand, im Epizentrum des Ladens sozusagen, zwischen Ländlemilch, Vorarlberger Bergkäs’ und was man sonst noch so zum Leben braucht.
„HOOIIIII! AN SCHÖNA GUATA MORGA!", posaunte sie mit einem glöckchenhellen Stimmchen und einem Strahlen, das Zähne und Zahnfleisch obendrein bloßlegte und mich glauben ließ, ich sei womöglich die lange vermisste beste Freundin des Mädels, die sie nun endlich wieder innig herzen wollte.
Dem war nicht so, da war ich mir ganz sicher, auch wenn ich mich dabei ertappte, diese Möglichkeit kurz in Erwägung zu ziehen. Nein, ich kannte sie nicht, stand nach sekundenlangem Stirnrunzeln fest.
Also antwortete ich mit einem lakonisch dahin gehauchten „Morgen" und schlich mich dann hinter ein Regal, um der ungewohnten Freundlichkeit zu entkommen, von der ich nicht so genau wusste, was es damit auf sich hatte.
Wer konnte mir das verübeln? Als über Jahre hinweg sozialisierter Stadtmensch reagiert man grundsätzlich auf unerwartete Freundlichkeit mit Misstrauen, man versteht nicht so ganz, worum es dabei geht und sucht verzweifelt den Zweck der Freundlichkeit zu ergründen.
Man stelle sich vor, da ging ich beinahe tagtäglich in der Stadt immer in den gleichen Supermarkt, aber ein Zeichen des Wiedererkennens seitens des Verkaufspersonals war nur in den seltensten Fällen festzustellen und äußerte sich höchstens durch einen schiefen Grinser – zugegebener Maßen benötigte man ein wenig Phantasie, um diesen als solchen zu identifizieren – oder ein angedeutetes Kopfnicken.
Auch beim Nicken wusste man allerdings nicht so recht, ob es sich um eine grußähnliche Geste handelte oder um ein spontanes Erschlaffen der Halsmuskulatur. Man wusste es einfach nicht!
Lobenswerte Ausnahme bildeten der Kebab-Verkäufer am Gürtel, auch wenn ich noch nie einen Kebab bei ihm erstanden hatte, und die marokkanische Verkäuferin in der Bäckerei im Achten.
Natürlich nicht zu vergleichen mit dem, was mir an jenem Morgen in besagtem Tante Emma-Laden widerfuhr. Nachdem ich um die Regale geschlichen war und ein wenig Zeit verstreichen ließ, traute ich mich zur Kassa, wo ich erneut der „Liebenswürdigkeit in Person" ausgeliefert war.
Ok, eigentlich war das mit der Freundlichkeit ja gar nicht so schlimm, und als sie mir zum Abschied ein „An wunderschöna Tag no!" nachrief, war ich mir schon fast sicher, dass ich mich daran gewöhnen könnte.