Vorarlberg hat bundesweit die höchste Anzahl an Fahrrädern pro Haushalt, und was die Fitness und das durchschnittliche Körpergewicht anbelangt, so gibt es mit Sicherheit auch Studien, die den Vorarlbergern rundum positive Zeugnisse ausstellen.
Wen wundert’s? Nach meinem letzten Besuch hinterm Arlberg kann ich mich des Verdachts nicht mehr erwehren, dass die Vorarlberger insgeheim – und der Arlberg ist für diese Heimlichtuerei wie geschaffen – für einen Wettkampf trainieren, über den bisher das restliche Österreich uninformiert geblieben ist. Eigenartige Dinge passieren jedenfalls hinterm Berg!
Meine Mutter erzählt mir beiläufig, dass H., die früher ungelogen ausschließlich mit Partys und Jungs beschäftigt war, mehrmals wöchentlich auf den Karren hinauf rennt, wohlgemerkt rennt, und ich schon beim bloßen Zuhören ins Schwitzen komme.
Das sei noch gar nichts, mischt sich die Nachbarin ungefragt ein, sich gerade in den Fahrradsattel schwingend, um mal kurz die 25 km (!) zu ihrer Freundin zu radeln, L. sei quasi täglich mit seinem Mountainbike in den Bergen unterwegs und absolviere zusätzlich noch diesen anstrengenden Power-Yoga Kurs.
Apropos anstrengend: Ein Anruf meiner Schwester bestätigt mir im gleichen Augenblick, dass auch sie dem allgemeinen Fitnesswahn frönt. Ob ich mit ihr klettern gehen möchte, das sei gar nicht schwer und bei richtiger Sicherung völlig ungefährlich.
Als ich Stunden später in der Wand hänge, bin ich mir sicher, dass das mit der Ungefährlichkeit nur eine gefinkelte Überredungstaktik gewesen ist, und als D. dann in seinem sportlichen Ehrgeiz meine Angst mit Füßen tritt und mich mit Sprüchen wie „Du schaffst das schon! Du musst dich nur noch mehr anstrengen!" partout nicht wieder aus inzwischen mindestens 2,5 Metern Höhe auf den sicheren Boden runter lassen will, bin ich mir sicher, dass dieser um sich greifende Sportfanatismus nichts, aber auch gar nichts Gutes an sich hat.
Da hilft kein „Mir tun die Arme weh!" oder „Ich hab eine Scheiß-Angst!", ein paar Zentimeter müssen noch erklommen werden, komme was da wolle. Ich klammere mich also weiterhin verbissen in die quasi nicht vorhandenen Griffe, während mich linker Hand ein 5-jähriger Knirps, auf dessen Brust das Logo des Alpenvereins prangt, in einem beinahe schon an Unverschämtheit grenzenden Tempo überholt.
Wie ich also so in dieser verfluchten Wand hänge und langsam vor lauter Angst in einen halluzinativen Zustand verfalle, erinnere ich mich mit Wehmut an die Wiener Gemütlichkeit, die Kultur des ‚Vor-der-Glotze-Einschlafens’ und die Annehmlichkeiten, die das Leben in der Großstadt sonst noch so bieten:
Man fährt mit der Rolltreppe zur U-Bahn runter, durchquert in Windeseile die halbe Stadt, gondelt mit dem Bus ein paar Häuserblocks weiter und nimmt dann zu Hause angekommen den Lift in das gewünschte Stockwerk – und das ohne ein einziges Mal in Atemverlegenheit zu kommen.
Ups, das wäre geschafft! Jahre später wundert man sich vielleicht über unliebsame Speckröllchen, einen überhöhten Cholesterin-Spiegel oder Herz-Kreislaufprobleme, aber dafür ist alles so irrsinnig gemütlich....